News

News Unternehmen

Sanieren statt Abreißen – 40 Jahre Gebäude im Wandel

Ein Gespräch mit Melanie Leypoldt und Thomas Bühl-Nebel

 

Sie arbeiten beide in der Innovation, Sie, Frau Leypoldt, als stellvertretende Niederlassungsleiterin in Stuttgart, Sie, Herr Bühl-Nebel, leiten die Innovation von Köln aus. Gemeinsam beschäftigen Sie sich in zunehmendem Maße mit der Gebäudesanierung. Warum ist das so wichtig?

Melanie Leypoldt: Der große Gebäudebestand in Deutschland wird in Zukunft unser Hauptthema sein. Und es wird immer wichtiger, diesen Bestand energetisch zu untersuchen und zu verbessern. Für Neubauten gelten schon schärfere Standards in den gesetzlichen Grundlagen, zum Beispiel durch das GEG. Bestandsgebäude verbrauchen den Großteil der Energie und CO2-Emissionen im Bausektor und müssen daher nach und nach energetisch optimiert werden.

 

Thomas Bühl-Nebel: Der Vorteil an Bestandsgebäuden ist: Sie sind schon gebaut! Würde man ein 40, 30 oder 20 Jahre altes Gebäude abreißen und neu bauen, hätte man einen deutlich höheren CO2-Impact, als wenn man es saniert und für die zukünftigen Anforderungen an die Klimaneutralität, fit macht.

 

Wie gehen Sie vor?

Melanie Leypoldt: Wir gehen in der Regel so vor, dass wir den Standort des Gebäudes auf lokal verfügbare energetische Potenziale prüfen. Wir schauen in entsprechende Geo-Tools oder fragen bei den Behörden nach, wie die Bodenbeschaffenheit vor Ort ist, ob man das Grundwasser nutzen kann oder ob dies vielleicht durch ein Trinkwasserschutzgebiet eingeschränkt ist. Wie ist das Solarpotenzial, wie sind die Temperaturen außen und wie verändern sie sich vielleicht in der Zukunft?

 

Das sind die äußeren Faktoren, was sind die größten Herausforderungen beim Gebäude selbst?

Thomas Bühl-Nebel: Eine große Herausforderung sind die hohen spezifischen Wärmebedarfe. In einem 40 Jahre alten Gebäude haben wir Werte um 60 Watt pro Quadratmeter für die Beheizung, ein Standard, der in den 1980er-Jahren nach der ersten Wärmeschutzverordnung üblich war. Der Neubau hat Werte um 20 Watt pro Quadratmeter, also ein Drittel davon. Das erreiche ich im Bestand zwar nicht, zumindest nicht in jedem Gebäude. Aber wir müssen überlegen, wie man den Wärmebedarf eines Gebäudes so weit drosseln kann, dass es mit Niedertemperatursystemen beheizt werden kann. Und am liebsten dann natürlich mit Wärmepumpen, bei denen der größte Teil der Wärme aus der Umwelt kommt – aus der Abwärme, dem Grundwasser, dem Abwasser, aus dem Erdreich oder im einfachsten, aber energetisch auch schlechtesten Fall aus der Außenluft.

 

Und dann ist ja jedes Gebäude anders in seinen Anforderungen …

Melanie Leypoldt: Richtig. Braucht man hohe Temperaturen für Prozess- oder Produktionsbedingungen, reichen niedrigere Temperaturen für die Raumwärme? Brauche ich eine Kühlung und wie könnte ich sie umsetzen? Brauche ich eine Lüftung? Im Bestandsgebäude haben wir den Vorteil, dass wir mit Messdaten arbeiten können, um dort zu ermitteln, wie viel Wärme, Kälte, Strom, Lüftung und Kühlung das Gebäude braucht. Im letzten Schritt arbeiten wir mit dem, was lokal energetisch verfügbar ist und dem, was wir brauchen, verschiedene Energiekonzepte aus. Wenn wir identifiziert haben, dass wir mit Wärmepumpen arbeiten können, gibt es am Standort verschiedene Möglichkeiten, etwa die Außenluft oder das Grundwasser. Wir stellen diese Varianten gegenüber und vergleichen sie sowohl energetisch als auch wirtschaftlich.

 

Ich könnte mir vorstellen, dass dieser wirtschaftliche Teil viel Diskussionsstoff mit den Bauherren liefert.

Melanie Leypoldt: Ja, denn wir bekommen bei unseren Berechnungen immer öfter heraus, dass konventionelle Energiekonzepte in der Investition vielleicht günstiger sind, aber die zukunftsfähigen Konzepte sich dann über den Betrieb von 15, 20, 30 Jahren amortisieren und letztlich günstiger sind als eine konventionelle Variante, weil sie energieeffizienter sind. Durch die Wärmepumpenfunktion haben wir rein energetisch schon Wirkungsgrade, die drei- bis fünfmal so hoch sind wie die von konventionellen Anlagen.

 

Müssen Sie viel Überzeugungsarbeit leisten?

Thomas Bühl-Nebel: Zunehmend weniger, es geht nicht so sehr um das Ob, sondern darum, welche effizientere Anlage sie nehmen wollen, wie Melanie Leypoldt gerade erklärt hat.

 

Melanie Leypoldt: In unserer Argumentation gegenüber Bauherren helfen uns auch die schärfer werdenden Richtlinien, die mit den EU-weiten Klimazielen zu tun haben. Viele große Unternehmen müssen jedes Jahr das ESG, also das Environmental, Social and Governance-Reporting, abgeben. Ein großer Teil dieses Firmenberichts bezieht sich auf den Part Environmental, also die Umwelt: Wie viele CO2-Emissionen verbrauchen Sie, was unternehmen Sie, um diese zu verringern? Und da zählen auch Bestands- und Neubauten dazu, bei denen die Firmen eine positive Bewertung bekommen möchten.

 

Ein weiteres Tool ist CRREM ...

Melanie Leypoldt: Genau, das ist einer der Begriffe, die im Moment neu auftauchen. Das ist der sogenannte Carbon Risk Real Estate Monitor, ein Tool, das die EU zur Verfügung stellt. Damit lassen sich Bestandsgebäude hinsichtlich ihrer Nachhaltigkeit sehr gut bewerten.

 

Wie genau funktioniert das CRREM-Tool?

Melanie Leypoldt: Es gibt ein Budget an CO2-Emissionen, das Gebäude bis 2050 pro Jahr verbrauchen dürfen, um die Pariser Klimaziele nicht zu verfehlen. Das heißt, dieses Budget sinkt jährlich, damit man dieses Ziel im Jahr 2050 erreicht hat. In dieses Tool gibt man die Gebäudedaten ein, zum Beispiel den Energieverbrauch, die CO2-Emissionen, die lokale Stromerzeugung und den Stromverbrauch des gesamten Gebäudes. Heraus kommt der Emissionspfad des Gebäudes. Er sagt, ob es diese Anforderungen einhält oder ob es im sogenannten Stranding Year „strandet“, in dem die Richtlinien nicht mehr erfüllt werden. Um das zu verhindern, können wir mit dem Bauherrn verschiedene Energiekonzept-Varianten vergleichen und ihm aufzeigen, was er machen muss, um zukunftsfähig zu bleiben.

 

Thomas Bühl-Nebel: Das ist ein sehr schönes Tool, um einen Sanierungspfad anzulegen, mit dem der Auftraggeber unter dieser abfallenden Kurve bleibt mit seiner aktuellen Immobilie: Der erste Schritt könnte ein Austausch der Verglasung sein, dann kommt eine Dachdämmung, noch einen Schritt weiter die Wärmepumpe, dann setzt man aufs Dach die Photovoltaik etc. Es zeigt sehr gut, dass man nicht sofort alles machen muss, sondern Schritt für Schritt vorgehen kann.

 

Lassen Sie uns ein praktisches Beispiel anschauen. Frau Leypoldt, Sie haben ein Gebäude unter die Lupe genommen, den heylo-Komplex in Düsseldorf, der 2000 sogar von ZWP geplant wurde, damals noch mit ganz anderen Bedarfen. Jetzt hat der Bau den Besitzer gewechselt.
Er ist mit einer Bruttogrundfläche von knapp 30.000 Quadratmetern recht groß und besteht hauptsächlich aus Büroflächen.

Melanie Leypoldt: Ja, der neue Besitzer wollte wissen, was er tun muss, um das Gebäude für die nächsten 20 Jahre energetisch fit zu machen. heylo ist ein sehr spannendes Projekt – wegen der besonderen Gebäudekonstruktion und weil der Glasanteil sehr hoch ist. Die Büros befinden sich in U-Form um den Standort herum und sind verbunden durch ein großes halbrundes Glasdach, unter dem sich ein Atrium befindet. Im Sommer heizt sich das Atrium unter diesem Glasdach stark auf, im Winter ist es kalt. Das Gebäude wurde 2003 eingeweiht, und früher wurde dieses Atrium nicht als Arbeits- oder Aufenthaltsfläche genutzt, jetzt aber wünschte dies der neue Auftraggeber, beispielsweise für Open Space und andere Nutzungen.

 

Was haben Sie festgestellt?

Melanie Leypoldt: Das Gebäude wird mit Fernwärme versorgt, die noch viel auf fossilen Energien basiert, und der Kältebedarf wird mit Kompressionskältemaschinen gedeckt. Letztere können eine gute Lösung sein, wenn der Strom für die Anlage am Standort selbst erzeugt wird. Allerdings gibt es in diesem Fall noch keine Kombination mit einer Photovoltaikanlage.

 

Wie sind Sie vorgegangen?

Melanie Leypoldt: Wir sind dann die Schritte durchgegangen, die ich vorher erläutert habe. Wir haben erst einmal nach den Umweltpotenzialen gesucht und die Bedarfe benannt. Wir haben identifiziert, dass man auf Wärmepumpensysteme umbauen und dafür Grundwasser nutzbar machen kann, was eine höhere Effizienz bringt, oder Außenluft als Energiequelle für die Bedarfe des Gebäudes verwenden kann. Das Ganze haben wir durchgerechnet, ausgelegt und mit verschiedenen thermischen Simulationen geprüft, um gerade diese besondere Situation im Atrium absichern zu können. Welche Luftströmungen entwickeln sich dort, welche Luftschichtungen mit welchen Temperaturen entstehen dort?

 

Was haben Sie vorgeschlagen?

Melanie Leypoldt: Wir haben hier ein regeneratives Energiekonzept vorgeschlagen – auch vor dem Hintergrund des eben genannten ESG-Reports und des CRREM-Tools. Das Glasdach kann man transluzent mit Photovoltaikelementen belegen, zum einen als Teil-Sonnenschutz, zum zweiten für die Energieerzeugung vor Ort. Wir haben die Lüftungsanlagen neu ausgelegt, die auf dem Dach Platz gefunden haben und somit einen höheren mechanischen Luftwechsel im Gebäude umsetzen können. Mit vorkonditionierter Zuluft, sowohl erwärmt als auch gekühlt, lassen sich auf diese Weise in den Innenräumen behaglichere Temperaturen herstellen.

 

Welche war die bevorzugte Wärmepumpen-Variante von ZWP?

Melanie Leypoldt: Aus rein energetischer Sicht haben wir die Grundwasser-Variante empfohlen, weil sie um einiges energieeffizienter ist. Das Grundwasser hat übers Jahr eine relativ konstante Temperatur, das heißt, man hat ein geringeres Temperaturdelta, sowohl zum Heizen als auch zum Kühlen. Die Außenluft ist variabler – sie ist heißer im Sommer und kälter im Winter. Deshalb muss ich mit der Wärmepumpe höhere Temperaturdifferenzen überwinden, die somit mehr Energie und Strom brauchen.

 

Der Investor hat sich trotzdem für die Wärmepumpen-Variante mit Außenluft entschieden, warum?

Melanie Leypoldt: In diesem Fall ja, da im Zuge einer Bodenuntersuchung Altlasten aufgetaucht sind, die eine Grundwassernutzung wirtschaftlich ausgeschlossen haben.

 

Schmerzt Sie das?

Thomas Bühl-Nebel: Wir sind ein Ingenieurbüro. Wir haben nicht nur den Anspruch, dass die Klimaneutralität realisiert werden muss, sondern wir schauen auch auf die Wirtschaftlichkeit. Wir agieren nicht im luftleeren Raum, sondern wir bieten Erfolgskonzepte an, die wirtschaftlich verantwortbar sind.

 

Melanie Leypoldt: Aber wir sind solche Überzeugungstäter, dass wir Varianten, die wir nicht empfehlen würden, erst gar nicht vorschlagen. Das fand ich schon immer besonders an ZWP: Früher war es noch das Öl, mittlerweile ist es Erdgas. Solche Varianten sind keine Optionen mehr für uns, obwohl es in manchen Kombinationen noch „erlaubt“ wäre, vor allem im Bestand. Energiekonzepte, die wir nicht für zukunftsfähig halten, schlagen wir dem Kunden nicht vor.